Pressemitteilung vom 19.12.2020

Landtagskandidat Dr. Andre Baumann und Staatssekretärin Bärbl Mielich informieren sich über vorbildhafte Wohnprojekte für das Leben im Alter und mit Behinderung. Das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe muss konsequent umgesetzt werden. Baumann: „Noch lange nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg“. 

Selbstbestimmt dort zu wohnen und zu leben, wo man möchte. In der Freizeit zu tun, wozu man Lust hat. Freunde treffen, Sport treiben, Einkaufen gehen. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist das einfach selbstverständlich. Aber wie sieht das eigentlich bei Menschen mit Behinderungen und bei älteren Menschen aus? Zu diesen Fragen hat Landtagskandidat Andre Baumann zu einer Online-Veranstaltung eingeladen. Baumann führte mit einer Feststellung in das Thema ein: „Es fehlt an barrierefreiem Wohnraum und bis vor einigen Jahren führte der Weg für die meisten jungen Menschen mit Behinderungen direkt ins Heim.“ Lange Zeit habe es an Alternativen gefehlt. Auch, wenn es im In- und Ausland nicht an guten Beispielen mangelt, bliebe Deutschland leider bisher hinter dem Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention zurück. „Aber es tut sich was in der Region und das ist gut so“. 

Viele engagierte Menschen waren  der Einladung zum digitalen Austausch gefolgt: Unterstützung für seine Beobachtungen und Forderungen bekam Baumann unter anderem von Staatssekretärin Bärbl Mielich. „Die Frage ist, wie können wir den Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht umsetzen, so dass dass jede und jeder bestimmen kann, wo und wie sie leben möchten?“, erläuterte die Sozialpädagogin, die momentan im Ministerium für Soziales und Integration viel mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch das Bundesteilhabegesetz beschäftigt ist. „Wir müssen weg vom Fürsorgedanken, hin zu einem Empowerment“. Das bedeutet: Auch Menschen mit Handicaps und hohem Unterstützungsbedarf sollen die Unterstützung bekommen, die sie benötigen, um selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden zu können. Das sei eine der zentralen Forderungen des Bundesteilhabegesetzes. „Zugleich bedeutet das aber auch, dass wir unsere Sicht auf Sozialräume neu definieren müssen“, ergänzte Mielich. Denn es komme nicht nur darauf an, den notwendig benötigten barrierefreien Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sondern auch das Zusammenleben in der Gemeinde gut zu gestalten. „Dazu braucht es eine lebendige Entwicklung der Sozialräume gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern.“ Gemeinden, die sich hier auf den Weg machen wollen, werden vom Land beispielsweise über das Förderprogramm Quartier 2030 beraten und begleitet.  

Ebenfalls vertreten waren vier Vereine, die sich in der Rhein-Neckar-Region für selbstbestimmtes Wohnen einsetzen. Einer dieser Vereine ist die Lebenshilfe Region Mannheim-Schwetzingen-Hockenheim. „Der Unterstützungsbedarf darf nicht über die Wohnform bestimmen“, stellte Kristina Funk, Vorstandsmitglied der Lebenshilfe gleich zu Beginn klar. Die Lebenshilfe verfügt über viele unterschiedliche Wohnangebote, wobei sehr viele Menschen von der Lebenshilfe in den eigenen vier Wänden begleitet werden. Entweder allein, in einer Partnerschaft oder zusammen mit anderen Menschen. Aber ganz unabhängig von der Wohnform sei es wichtig, dass das Angebot zu den Menschen passe: „Das Familienambiente ist uns beim Wohnen sehr wichtig“, machte Funk deutlich.

Ulrike Freiseis von SMILE e.V. in St. Leon-Rot berichtete von den vielfältigen Aktivitäten ihres Vereins. Bisher seien es von allem Freizeitangebote gewesen, die der Verein angeboten habe. Von der Musikgruppe bis zur inklusiven Theatergruppe Includo, die immerhin schon den dritten Platz beim deutschen Amateurtheaterpreis belegt habe. Jetzt gehe es dem Verein aber auch ums Wohnen. Dazu habe SMILE das Projekt MehrWertWohnen auf den Weg gebracht, in dem Mehrgenerationenwohnen mit dem inklusiven Gedanken verbunden werden soll. „Inklusion soll nicht nur auf dem Papier stehen, sondern benötigt Unterstützung durch Politik und Verwaltung“, stellte Freiseis klar.

„Hier sieht man, wie wichtig das Ehrenamt in der Gesellschaft ist. Menschen, die das alles noch in ihrer Freizeit machen und solche Projekte mit viel Engagement auf den Weg bringen“, betonte Andre Baumann. Das gilt auch für den Verein Pro-Down Heidelberg e.V., der durch die Vorsitzende Giesela Wrensch vertreten wurde. „Auch bei unseren vorherigen Aktivitäten des Vereins gab es den inklusiven Ansatz schon immer“, berichtete Wrensch. Anliegen des Vereins sei es schon immer gewesen, Kinder und Jugendliche ganz normal an der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Das gelte auch beim Wohnprojekt in der Schützenstraße, mitten in Schwetzingen, wo junge Menschen mit Behinderung gemeinsam und selbstbestimmt leben möchten. Mit ihrer Idee des Zusammenlebens vor Ort habe sie bei der Stadtverwaltung gleich ein offenes Ohr und Unterstützung gefunden, berichtete Wrensch. Das neue Haus soll sich der Nachbarschaft öffnen. Dafür sei schon ein großer Gemeinschaftsraum mit Küche fest eingeplant, der zum Beispiel auch von Vereinen genutzt werden könne. „Die neuen Bewohnerinnen und Bewohner sollen ganz normal verschiedene Rollen leben“, sagte Wrensch. Zum Beispiel als Bewohner, als Nachbarn und Gastgeber.

Bisher ist in der Schützenstraße aber noch eine Baugrube zu sehen. Innovative Wohnprojekte haben nämlich immer noch Probleme mit der Finanzierung. Ohne Spenden geht es häufig nicht. „Die Projekte haben vor ihrer politischen Zeit begonnen“, erklärte Bärbl Mielich. Die Unterstützung selbstbestimmten Wohnens sei ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Daher werde es auch in Zukunft durch das Land Baden-Württemberg gefördert. 

Dass der Anfang eines Wohnprojekts nicht einfach ist, konnte auch Adolf Härdle, Vorsitzender des Vereins Via Vitalis in Hockenheim, bestätigen. Bereits 2002 machte sich der Verein auf den Weg, eine Wohngemeinschaft für dementiell erkrankte Menschen aufzubauen. Die Vereinsmitglieder leisteten Pionierarbeit: „Es gab damals keine Vorbilder in der Region“, berichtete Härdle. „Wir sind bis nach München gefahren, um uns Modellprojekte anzuschauen“. So dauerte es dann auch fünf Jahre, bis die Wohngemeinschaft eröffnet werden konnte. „Wir haben immer daran geglaubt, dass diese Einrichtung notwendig ist“, so Härdle. Die Wohngemeinschaft befindet sich mitten in der Stadt, die Bewohnerinnen und Bewohner sind Mieter in ihrem eigenen Haushalt. „Ein gelingender Alltag steht bei uns im Mittelpunkt“, erklärte Härdle. Gerade bei demenziell erkrankten Menschen komme es häufig zu schwierigen Verhaltensweisen. Aber genau hier setze das Konzept der WG an: „Es gibt immer einen Grund für Verhalten – da gibt es nichts zu kritisieren. Menschen sind, wie sie sind.“ Für Härdle sei Wertschätzung der Schlüssel zum Erfolg. Wenn man den Menschen wertschätzend begegne und sie dort abhole, wo sie sind, „dann öffnen sich die Menschen. Aber ohne die Angehörigen geht auch nichts“, erklärt Härdle weiter. Die Arbeit mit den Angehörigen sei darum genauso wichtig, wie mit den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst.  

„Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg“, stellte Andre Baumann fest. Und alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Abends waren sich einig, dass die Politik in der Verantwortung stehe, die Voraussetzung zu schaffen, damit selbstbestimmtes Wohnen vor Ort in der Gemeinde in Zukunft für alle selbstverständlich werde. Die vielfältigen Projekte vor Ort zeigen, was alles möglich ist und können Vorbild für andere Formen des Wohnens sein. Dazu braucht es die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf Landesebene. Aber auch ein offenes Ohr durch die Politik und Verwaltung vor Ort, damit Vielfalt beim Wohnen nicht nur eine Idee bleibt, sondern Wirklichkeit werden kann. „Solche Projekte sollen nicht nur vom Geldbeutel und Engagement einiger Menschen abhängen“, bestätigte Bärbl Mielich zum Abschluss.