Gruppenfoto vor einer der Bewohnendenunterkünfte (von links): Martin Heß, Gordon Cullum, Dr. Andre Baumann, Jan-Hendrik Marwede, Lukas Duwald, Susanna Re, Ulf Prokein (hinten), Lukas Renz, Eva Oliveira, Youcef Chikhi und Antonia Cinquegrani.

Der Landtagsabgeordnete der Grünen hat die Beratungsstelle für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Schwetzingen besucht – Finanzierung und Bürokratie stellen Beratende vor Schwierigkeiten

„Es wäre sehr sinnvoll, arbeitssuchende Migrantinnen und Migranten zügig an Unternehmen zu vermitteln, die dringend Arbeitskräfte suchen“, sagte Dr. Andre Baumann, Landtagsabgeordneter der Grünen, bei seinem Besuch der unabhängigen Sozial- und Verfahrensberatung für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Schwetzingen (Tompkins). „Aktuell fehlen in Baden-Württemberg nämlich 400.000 Arbeitskräfte. Und wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, auch ungelernte Arbeitskräfte werden dringend gesucht, etwa von Brauereien oder Großküchen.“ Auf diese Weise könnten sich viele Chancen ergeben auch für Menschen, die nach aktueller Gesetzeslage keine Bleibeperspektive hätten, so der Politiker.

Im Rahmen seiner Sommertour hat Baumann dieses Jahr soziale Einrichtungen in seinem Wahlkreis besucht, so wie an diesem Tag die Erstaufnahmeeinrichtung in Schwetzingen. Diese ist eine Einrichtung des Landes Baden-Württemberg für neu ankommende Geflüchtete, in welcher der Caritasverband Heidelberg, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Kreisverband Rhein-Neckar/Heidelberg e.V. und das Diakonische Werk Heidelberg gemeinsam die unabhängige Sozial- und Verfahrensberatung für Flüchtlinge anbieten.

1155 Beratungsgespräche im ersten Halbjahr 2023

„Wir bieten Beratung und Begleitung in Angelegenheiten des Asylverfahrens und im Hinblick auf alle weiteren damit zusammenhängenden aufenthaltsrechtlichen Fragen“, berichtete Antonia Cinquegrani vom Diakonischen Werk. Gemeinsam mit Lukas Renz vom Caritasverband und Ulf Prokein vom DRK hat sie die Teamleitung der Beratungsstelle mit aktuell elf Mitarbeitenden inne. Vormittags gibt es eine offene Sprechstunde, nachmittags Termine nach Vereinbarung. Im ersten Halbjahr 2023 seien in Schwetzingen 1155 Beratungsgespräche geführt worden, im Schnitt werde jeder Ratsuchende 1,43 Mal beraten. „Wir bereiten die Asylsuchenden intensiv auf ihre Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor“, so Cinquegrani. „Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist es auch, einen besonderen Schutzbedarf bei den Geflüchteten zu identifizieren, etwa bei allein reisenden Frauen, traumatisierten, queeren Menschen oder Menschen mit Behinderung. Für diese vermitteln wir gegebenenfalls auch den Kontakt zu entsprechenden Experten oder Behörden.“

Willkommensgrüße in mehreren Sprachen finden sich auf einem Plakat am Eingang der Erstaufnahmeeinrichtung.

Seit neuestem gibt es aufgrund einer Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum Heidelberg und dem Regierungspräsidium Karlsruhe (RPK) auch einmal wöchentlich eine psychologische Sprechstunde für die Bewohnenden in Schwetzingen. „Darüber sind wir sehr, sehr froh“, sagte Cinquegrani. Zu den weiteren Angeboten und Tätigkeiten der Beratungsstelle gehören unter anderem allgemeine Sozialberatung und Vermittlung weiterer Hilfs- und Unterstützungsangebote, Zusammenarbeit mit ehrenamtlich Engagierten, Initiativen, Firmen und Netzwerken, Sprachkurse, Freizeit- und Sportangebote, Angebote für Kinder- und Jugendliche, kreativ- und kulturvermittelnde Angebote, Willkommens-Infopakete, Gemeinwesenarbeit und Streetwork.

Die Fluktuation unter den Bewohnenden ist hoch

Neben Cinquegrani, Renz und Prokein waren zu der Gesprächsrunde mit Andre Baumann an diesem Tag der Geschäftsführer des Diakonischen Werks Heidelberg, Martin Heß, die Geschäftsführerin des Caritasverbands Heidelberg, Dr. Susanna Re, und Eva Oliveira, Abteilungsleiterin Soziale Dienste beim DRK, gekommen. Eva Oliveira ist zusammen mit Christian Heinze vom Diakonischen Werk und Birgit Grün vom Caritasverband verantwortlich für die unabhängige Sozial- und Verfahrensberatung. Ebenso waren Regierungsdirektor Jan-Hendrik Marwede und Lukas Duwald vom RPK dabei. Bei der anschließenden Führung durch die Gebäude der Erstaufnahmeeinrichtung stießen noch Objektleiter Gordon Culum und Alltagsbegleiter Youcef Chikhi zu der Gruppe.

Große Gesprächsrunde: Dr. Andre Baumann hat die Beratungsstelle für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Schwetzingen besucht.

287 Menschen bewohnten die Einrichtung zu diesem Zeitpunkt, getrennt nach Familien und alleinstehenden Männern. Alleinreisende Frauen – aktuell sieben – sind wegen ihres erhöhten Schutzbedarfs noch mal gesondert untergebracht. Die Gesamtanzahl der Bewohnenden ändert sich oft, da die Geflüchteten sobald wie möglich Stadt- und Landkreisen in ganz Baden-Württemberg zugewiesen werden. „Im Durchschnitt bleiben die Menschen hier in Schwetzingen aktuell 33 Tage, maximal dürften es vom Gesetz her 18 Monate sein“, erläuterte Jan-Hendrik Marwede vom RPK. „Für alles andere haben wir als Erstaufnahmeeinrichtung momentan gar nicht die Kapazitäten.“ Aktuell stammten 23 Prozent der Bewohnenden in der Schwetzinger Einrichtung aus Afghanistan, 14 Prozent aus Mazedonien, elf Prozent aus Syrien, acht Prozent aus Bosnien-Herzegowina und sieben Prozent aus der Türkei. Zurzeit seien es 214 Männer, 28 Frauen und 45 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, so Marwede.

Objektleiter Culum ergänzte weitere Zahlen: „Von 6 bis 22 Uhr sind 16 bis 20 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor Ort, nachts zwei. Tagsüber sind 26 Security-Mitarbeiter im Einsatz, nachts 24. Zudem haben wir einen Infopoint, der rund um die Uhr besetzt ist.“ In Einrichtungen wie etwa der Wäscherei oder der Kleiderkammer arbeiten auch die Bewohnenden mit. In der Kantine wird täglich frisch gekocht, auch mal Gerichte auf besonderen Wunsch. Jeder Bewohnende hat eine Karte, mit welcher er sich beim Weggehen und Kommen, bei der Essensausgabe und ähnlichem einloggen muss. „So behalten wir den Überblick“, sagte Culum.

Wohnungsnot sorge für Verzweiflung in der Gesellschaft

Eva Oliveira berichtete auch von aktuellen Schwierigkeiten der unabhängigen Sozial- und Verfahrensberatung: „Seit Juli bieten wir auch die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung an, die vom Bund gefördert wird. Das bedeutet mehr Arbeit und vor allem auch mehr Bürokratie.“ Martin Heß vom Diakonischen Werk ergänzte: „Unsere erprobten Antragsverfahren sollten bleiben. Das würde vieles vereinfachen.“ Aktuell bliebe immer weniger Zeit für die eigentliche Beratung, so Oliveira. Gleichzeitig stehe im Raum, dass die finanziellen Mittel für die Beratungsstelle 2024 gekürzt werden sollen. „Dann könnten wir unser bisheriges Angebot nicht aufrechterhalten“, so Oliveira. „Die bisherige Finanzierung sollte unbedingt bestehen bleiben.“ Baumann versprach, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten einzusetzen.

Auf Baumanns Frage, welchen Rat die Anwesenden an die Politik hätten, um einem Rechtsruck der Gesellschaft entgegenzuwirken, antwortete Oliveira: „Es wäre unter anderem sehr wichtig, mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Wenn Menschen erleben, dass in manchen Wohnungen Geflüchtete untergebracht werden, es für die deutsche Bevölkerung aber keinen oder nur sehr wenigen günstigen Wohnraum gibt, kann ein Gefühl der Benachteiligung entstehen. Die Verzweiflung aufgrund des Wohnungsmangels ist generell groß.“ Baumann unterstützte dieses Anliegen: „Gerade in der Region rund um Hockenheim und Schwetzingen ist bezahlbarer Wohnraum rar. Die Bereitstellung von mehr bezahlbarem Wohnraum muss zu den wichtigsten Aufgaben von Politik und Verwaltung gehören.“