Exkursion in den Nationalpark Schwarzwald mit dem Landtagsabgeordneten Dr. Andre Baumann war erlebnisreich
Das „Herz des Nationalparks Schwarzwald“ ist nicht einfach zu erreichen. Der so von dem grünen Landtagsabgeordneten Dr. Andre Baumann betitelte Wildsee ist ein Karsee, der sich in einer kesselförmigen Eintiefung unterhalb des steilen Hangs des Seekopfs befindet. Wer ihn besuchen möchte, sollte über Ausdauer und Trittfestigkeit verfügen. Zudem macht er seinem Namenzusatz „wild“ alle Ehre: „Seit mehr als 100 Jahren kann sich die Natur in diesem ehemaligen Bannwald am Wildsee ohne Holznutzung entwickeln“, erklärte der promovierte Biologe den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der öffentlichen Exkursion, zu der er Mitte Juni eingeladen hatte. „Der Aufstieg vom Wildsee an der Karwand ist für mich das Highlight des Ausflugs“, sagte Ulrike Grüning aus Brühl. „Die vielen wilden, hohen Bäume und die unterschiedlichen Vegetations- und Landschaftsformen sind sehr beeindruckend. Und dass die Strecke ein bisschen sportlich anspruchsvoll ist, finde ich auch gut.“
Die von Baumann, Park-Ranger Timo Pfaff und Charly Ebel, Leiter des Fachbereichs Besucherinformation, geleitete Tour führte mitten durch einen Teil der sogenannten Kernzone des 2014 gegründeten Nationalparks. Dieser befindet sich in der Nähe der Hornisgrinde, dem höchsten Berg im Nordschwarzwald. In den Waldgebieten der Kernzone gilt das Motto: Natur Natur sein lassen. „Sie werden komplett sich selbst überlassen und sind am stärksten geschützt“, so Baumann.
Die rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion waren vor dem Start am Seibelseckle in Baiersbronn in zwei Gruppen aufgeteilt worden: Wem der Weg zum Wildsee zu anstrengend war, der folgte Ranger Arne Kolb auf einer etwas leichteren Tour. Insgesamt circa zehn bis 15 Kilometer wurden so auf einer Höhe von bis zu 1020 Metern zurückgelegt. Beide Gruppen erlebten die einzigartige Landschaft des Nordschwarzwalds, die dunklen Fichtenwälder, die kleinen und großen Moore ebenso wie die sogenannten Grinden, heideähnliche Hochweiden auf den Kämmen des Schwarzwaldes, die Ausblicke über die Bergkuppen bis in die Weite der Rheinebene ermöglichen. Eine Einkehr in der Darmstädter Hütte stand ebenfalls für beide Gruppen auf dem Tagesprogramm. Es ist die einzige heute noch zugelassene Hütte in dem Schutzgebiet.
Baumann war an der Gründung des Nationalparks beteiligt
Bereits auf der Hinfahrt im Bus hatte Baumann neben Stationen aus seiner beruflichen Biografie viele wissenswerte Informationen über den ersten und bisher einzigen Nationalpark in Baden-Württemberg berichtet. Beides gehört schließlich zusammen: Als damaliger hauptamtlicher Landesvorsitzender des NABU war Baumann an der Entwicklung des Nationalparks Schwarzwald beteiligt, und in seiner aktuellen Funktion als Staatssekretär des Umweltministeriums begleitet er den Nationalpark ebenfalls. „Der Nationalpark Schwarzwald hat sich prächtig entwickelt“, freute er sich. „Die Kraft der Natur ist dort auf eine einzigartige Weise erlebbar.“
Ziel eines Nationalparks sei es stets, urwüchsige Landschaft zu erhalten beziehungswiese sich wieder entwickeln zu lassen. „Alles ist erlaubt, jede Art hat den gleichen Stellenwert.“ Auf diese Weise würden Ökosysteme geschützt und Lebensraum für viele seltene, bedrohte Tier- und Pflanzenarten geschaffen. Im Nationalpark Schwarzwald komme etwa der Sperlingskauz vor, die kleinste Eulenart Europas, oder das imposante Auerhuhn, erklärte der Ornithologe Baumann.
Totholz ist voller Leben
Auch totes Holz habe seine Berechtigung: „Ein Drittel des Holzes eines Urwalds ist Totholz. Totholz ist voller Leben und ein ganz wichtiger Bestandteil des Ökosystems. Im Totholz findet etwa der sehr seltene Dreizehenspecht genug Käferlarven“, erklärte Baumann. „In Wirtschaftswäldern fehlt Totholz. Darum gibt es die absurde Situation, dass in Parkanlagen mit einem Altbaumbestand Urwaldreliktarten vorkommen, in Wirtschaftswäldern nicht.“ Baumann verwies auf den Juchtenkäfer im Stuttgarter Schlosspark und den Heldbockkäfer im Schwetzinger Schlossgarten.
„Der Weg bis zur Gründung des Nationalparks Schwarzwald war ein schwieriger, der mit vielen, teils aggressiv geführten Diskussionen verbunden war“, erinnerte er sich, ebenso wie eine Teilnehmerin aus Schwetzingen. Sie sagte: „Ich habe das Gerangel damals mitbekommen und wollte mir den Nationalpark schon seit Längerem unbedingt mal ansehen. Da kam mir das Angebot von Andre Baumann gerade recht, und ich freue mich, dass ich heute so viele interessante Informationen erfahre. Wir wissen viel zu wenig über die Natur und müssen unsere Perspektive weiten.“
Baumann erläuterte unter anderem, dass der Schwarzwald Jahrhunderte lang forstwirtschaftlich und von den Bauern zur Almwirtschaft genutzt wurde. „Und als der Nordschwarzwald nach dem Zweiten Weltkrieg auch aufgrund von Reparationszahlungen nahezu holzfrei war, haben ihn die Menschen hier wieder aufgeforstet. Im Rucksack wurden Fichten die Berge hochgetragen und eingepflanzt.“ Darum könne Baumann nachvollziehen, dass nicht jeder das Projekt begrüßt hatte, diesen mühevoll aufgebauten Wald sich selbst zu überlassen. Er berichtete, dass die Zustimmung zum Nationalparkprojekt in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen sei.
Ein Kompromiss: Der Nationalpark hat Kern-, Entwicklungs- und Pflegezonen
Die Entwicklung des Nationalparks Schwarzwald wurde unter anderem durch den Regierungswechsel 2011 zu Ministerpräsident Winfried Kretschmann möglich, der dieses Projekt zur Chefsache gemacht hat. „Unser Nationalpark ist ein Leuchtturmprojekt unseres Landes“, so Baumann. Bei diesem wurde ein Kompromiss eingegangen, um verschiedene Interessen zu berücksichtigen. Dieser bestehe zunächst einmal darin, dass das Gebiet die für eine Ausweisung als Nationalpark erforderliche Mindestgröße von 10.000 Hektar nicht überschreite. Das sind etwa 0,7 Prozent der gesamten Waldfläche in Baden-Württemberg.
Zudem gibt es, im Gegensatz etwa zum Nationalpark Bayerischer Wald, nicht nur eine Kern- und Pflegezonen, sondern auch Entwicklungszonen. „In den Pflegezonen werden die einzigartigen Kulturlandschaften wie etwa die Grindenmoore erhalten und so auch Lebensraum für das für den Schwarzwald typische Auerhuhn, das eher lichte Wälder benötigt und nach EU-Recht geschützt werden muss.“ In den Entwicklungszonen werde die Natur auf natürliche Prozesse vorbereitet. „Nach spätestens dreißig Jahren heißt es dann: Loslassen. Dann werden Entwicklungszonen zu Kernzonen. Und dann heißt es nur noch: Beobachten, Staunen und Erforschen.“
An Balzgebieten der Auerhähne wanderte die Gruppe um Baumann vorbei. Sie konnte zwar die Tiere selbst nicht begutachten, wohl aber deren Hinterlassenschaften, die Charlie Ebel fand. „Aktuell beträgt der Anteil der Kernzone am Nationalpark Schwarzwald 50 Prozent, in 30 Jahren sollen es mindestens 75 Prozent sein“, berichtete Ranger Timo Pfaff. „Wir können uns ja in 300 Jahren noch mal treffen und schauen, wie es dann hier aussieht“, scherzte er. „Hoffentlich gibt es den Wald und uns Menschen dann noch“, entgegnete ein Teilnehmer.
Nationalpark belebt den Tourismus im Nordschwarzwald
Nach dem Abstieg zu dem auf rund 900 Metern liegenden Ruhestein besuchten beide Gruppen noch abschließend das dort gelegene, 2020 eröffnete Nationalparkzentrum. Dieses entfaltet sowohl architektonisch als auch ob seiner Ausstellung eine internationale Strahlkraft. „Die besondere Architektur stellt die wilde Natur dar“, so Baumann. Besondere Herausforderung für die beteiligten Baufirmen war es laut Nationalparkzentrum, das Gebäude in Millimeterarbeit in einen Wald einzupassen, sodass möglichst wenig Bäume weichen mussten. Zum Teil wurden die Gerüste tatsächlich um einzelne Bäume herumgezirkelt. So entsteht auch im Inneren des Gebäudes der Eindruck, mitten im Wald zu sein.
Die mehrfach ausgezeichnete, multimediale Ausstellung erzählt die Geschichte des wilder werdenden Walds im Nationalpark. „Das Nationalparkzentrum ist sehr beeindruckend“, sagte Exkursionsteilnehmerin Elke Dörflinger aus Hockenheim. „Die Ausstellung hat mich emotional aufgewühlt und ich habe viel gelernt. Insgesamt war es heute ein rundum gelungener Tag.“ Auch die Teilnehmerin aus Schwetzingen zog ein positives Resümee der Exkursion und sagte: „Ich werde bestimmt noch einmal wiederkommen.“ Das sei auch ein Ziel des Nationalparks, sagte Baumann: den Tourismus im Nordschwarzwald zu beleben. „Die Menschen sollen diese wilde, wunderschöne Natur erleben und genießen können, auch wenn zum Schutz von Fauna und Flora nicht jeder hinterste Weg gegangen werden kann.“ Und das gelingt bereits: Nach Angaben des Nationalparks nimmt die Besucherzahl stetig zu. Im Jahr 2021 belief sich demnach die Schätzung des Gesamtaufkommens auf mehr als eine Million Besuche pro Jahr.