Landtagsabgeordneter Dr. Andre Baumann hat Beratungsstelle fairmann in Heidelberg besucht – fairmann berät Gewalttäter sowie männliche Opfer von Gewalt auch im Rhein-Neckar-Kreis
„So offen habe ich noch nie über meine Gefühle gesprochen.“ So oder so ähnlich äußerten sich die Klienten immer wieder, erzählte Meinolf Hartmann, Leitender Geschäftsführer der Männerberatungsstelle fairmann in Heidelberg. „Es ist oft so, als würde dann ein Bann brechen.“ Der Landtagsabgeordnete der Grünen Dr. Andre Baumann und die Leitung seines Wahlkreisbüros Patrick Alberti haben Hartmann und seinen Kollegen, den Psychologen Maxim Shafiei, besucht, um sich über die Arbeit des insgesamt achtköpfigen Teams zu informieren. Baumann setzt damit nach seiner Veranstaltung mit Staatssekretärin Dr. Ute Leidig seinen Einsatz gegen Gewalt gegen Frauen fort.
Die gemeinnützige Unternehmergesellschaft fairmann (gUG) engagiert sich seit 25 Jahren zum Thema Gewaltprävention und -intervention und bietet Männern und Jungen aus Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis Hilfe, Beratungen und Anti-Gewalt-Trainings an, in Einzelberatungen oder Gruppensitzungen. Es werden in erster Linie gewalttätige Männer, aber auch männliche Opfer von Gewalt beraten. „Es ist ein wichtiges Zeichen und ein Schritt in die richtige Richtung, dass Sie heute hier sind“, sagte Hartmann zu Baumann und Alberti. „Politiker befassen sich leider selten mit Täterarbeit. Es herrscht vermutlich eine gewisse Scheu.“ Baumann stimmte zu, denn auch er habe die Bedeutung der Täterarbeit anfangs „nicht auf dem Schirm“ gehabt und sei in der ersten Reaktion abgeschreckt gewesen. „Täterarbeit ist eminent wichtig. Jeder Mann, der gewalttätig gegenüber Frauen ist, ist einer zu viel“, so Baumann. „Gewalt gegen Frauen ist leider in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und kommt in allen Schichten und Kulturen vor.“ So ist etwa jede dritte Frau laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Laufe ihres Lebens von Gewalt betroffen – meistens in einer Beziehung oder im familiären Kontext; oft sind auch die Kinder von Gewalt betroffen beziehungsweise leiden darunter. Und fast alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau wegen ihres Geschlechts vom (Ex-)Partner getötet. „Dennoch gilt das Thema immer noch als Tabuthema, das wir dringend in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen und politischen Diskurses stellen müssen“, sagte Baumann.
Pro Jahr kommen rund 200 Klienten über die angegliederte Männerinterventionsstelle zu fairmann, 80 bis 90 über den ebenfalls angeschlossenen Männernotruf. „Im Jahr 2022 kamen zwischen 170 und 180 männliche Täter zu uns und 15 Täterinnen“, berichtete Shafiei. Generell seien unter den Opfern körperlicher Gewalt 80 Prozent Frauen und 20 Prozent Männer. Auch die Auswirkungen von psychischer Gewalt wie ständige Abwertungen, Erpressungen, Manipulation und emotionaler Missbrauch des Partners oder der Partnerin seien nicht zu unterschätzen.
Mechanismen und Verhaltensmuster erkennen, ergründen und verändern
„Wir bieten unter anderem auch, gemeinsam mit dem Frauennotruf Heidelberg und der Genderfachstelle für Bildung und Gesundheitsförderung LuCa-Heidelberg e.V., Gewaltpräventions- und Soziale-Kompetenz-Workshops an 15 Schulen in Heidelberg an“, so Hartmann. „Auf diese Weise erreichen wir rund 700 Jungen von der zweiten bis neunten Klasse.“ Alberti und Baumann wünschten sich, dass Kinder und junge Menschen generell noch stärker und früher darin gefördert würden, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, zu reflektieren und Kommunikation zu trainieren. „Oftmals geht es in unserem Bildungssystem nur ums Funktionieren, und es mangelt auch oft an positiven Vorbildern“, so Alberti. „Gerade Männern fehlt häufig aufgrund ihrer Erziehung und bestimmter gesellschaftlicher Rollenbilder die Fähigkeit, die eigenen Gefühle überhaupt wahrzunehmen.“ Shafiei und Hartmann bestätigten das.
In der Täterarbeit gehe es unter anderem darum, dass die Klienten Selbstverantwortung übernähmen und die Gewaltspirale unterbrochen werde, so die Fachleute. Täterarbeit sei in diesem Sinne Opferschutz. Diese funktioniere nur, wenn die Täter sich selbst und die Gründe für ihr Handeln verstehen lernten. Das Abgrenzungsbedürfnis der Männer sei hoch, sagte Shafiei, der Klienten auch aus dem Rhein-Neckar-Kreis berät. Kaum einer der Männer wolle Täter sein, diese begäben sich daher oft selbst in die Opferrolle, etwa indem sie dem tatsächlichen Opfer die Schuld für die Gewalt gäben. „Klar ist, dass die Täter sich ändern müssen.“ Eine praktische Übung in den Beratungsstunden sei beispielsweise ein Rollenspiel zum Thema Grenzen, ergänzte Hartmann. Er machte diese Übung mit Baumann. „Ich gehe jetzt auf Sie zu und Sie vermitteln mir per Handzeichen, sobald ich Ihnen zu nahe komme“, sagte Hartmann zu Baumann zu Beginn der Übung. „Viele Menschen gehen wie Sie, Herr Baumann, automatisch einen Schritt zurück, wenn ihnen jemand zu nahe kommt. Mit ihrem Schritt haben Sie etwas mehr als eine Armlänge Distanz hergestellt. Aber manche Männer bleiben stehen, halten eine zu große Nähe aus, weil sie aufgrund ihrer Erziehung und gesellschaftlichen Prägung ein Ausweichen oder ein Abgrenzen als Schwäche empfinden würden.“ Doch wer seine eigenen Grenzen nicht erkenne und kommuniziere, explodiere leichter – und erkenne auch nicht die Grenzen der Anderen.
„Wir helfen dabei, Mechanismen und Verhaltensmuster zu erkennen, zu ergründen und zu verändern“, erläuterten Hartmann und Shafiei. „In der Regel haben wir mit einem Klienten 15 Sitzungen, jeweils eine alle zwei Wochen“, berichtete Shafiei. „Wir arbeiten also längere Zeit mit dem Klienten und schauen ganz individuell, auch unter Berücksichtigung von dessen persönlicher Geschichte, wie wir am besten helfen können.“ Der schönste Lohn sei, wenn man anschließend nie wieder etwas von den Klienten höre – weil die Probleme nicht mehr aufträten. „Aber auch, wenn jemand nach drei Jahren erneut zur Beratung kommt, weil er merkt, dass er wieder gewalttätig werden könnte, ist das ein großer Erfolg, weil er sich rechtzeitig Hilfe holt“, so Hartmann. Baumann äußerte abschließend den Wunsch, dass sich noch viel mehr Betroffene Hilfe suchen würden, „denn das ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen fairmann-Mitarbeitern für die großartige und unverzichtbare Arbeit, die sie leisten. Diese ist ein wichtiger Beitrag, um unsere Gesellschaft weiter zum Positiven zu verändern.“
Info: Eine Auswahl an Hilfsangeboten
- Männerberatungsstelle fairmann, Männernotruf und -interventionsstelle: www.fairmann.org, Telefon: 06221 600101
- Interventionsstelle für Frauen und Kinder: www.fhf-heidelberg.de/de/interventionsstelle/interventionsstelle-fuer-frauen-und-kinder, Telefon: 06221 750135
- Frauennotruf Heidelberg: www.frauennotruf-heidelberg.de, Telefon: 06221 183643
- LuCa-Heidelberg e.V., Genderfachstelle für Bildung und Gesundheitsförderung: www.luca-heidelberg.org
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 08000 116 016 oder auch nur 116 016, www.hilfetelefon.de