Dr. Sergey Lagodinsky (rechts) und Dr. Andre Baumann im Gespräch per Videokonferenz.

Spannende Einblicke gab es bei einer Online-Veranstaltung von Dr. Andre Baumann MdL und dem Europa-Abgeordneten Dr. Sergey Lagodinsky

„Die Digitalregulierung in der Europäischen Union hat US-Präsident Donald Trump ganz oben auf seiner Liste der Herausforderungen stehen.“ So lautete eine der ersten Botschaften, die Dr. Sergey Lagodinsky seinem Online-Publikum mitteilte. Und sie beruhte auf seiner jüngsten Erfahrung, war der Europa-Abgeordnete (Die Grünen/EFA) doch gerade von einer USA-Reise zurückgekehrt. Der Landtagsabgeordnete der Grünen Dr. Andre Baumann hatte alle Interessierten zu einer Online-Veranstaltung mit dem Titel „Digitalisierung in Europa – Innovation statt Abhängigkeit“ mit dem Experten Lagodinsky eingeladen. Über europäische Strategien in der Digitalisierung und speziell beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) galt es zu sprechen. „Es steht die Sicherheit Europas auf dem Spiel, wenn wir die Entwicklung eigener europäischer Technologien versäumen“, so Baumann. „Künstliche Intelligenz wird in wenigen Jahren Wissenschaften, Wirtschaft und unser Leben revolutionieren und bestimmen. Sowohl China als auch die US-Tech-Giganten sind bei der Künstlichen Intelligenz führend – aber weder die einen noch die anderen teilen unsere deutschen und europäischen Werte.“

Es sei dringend erforderlich, dass sich die Europäische Union (EU) beim Thema Digitalisierung und KI aus Abhängigkeiten von China oder eben von der USA befreie, ergänzte Lagodinsky. „Die Politik des US-Präsidenten hat uns Europäern vorgeführt, wie prekär es ist, sich auf amerikanische Lösungen zu verlassen“, sagte er. „Selbst wenn man der Meinung ist, dass die EU überreguliert sei – das ist unsere Diskussion, nicht die von Trump.“ Zudem sei es wichtig, die Einhaltung europäischer Werte und Rechtsstaatlichkeit auch im digitalen Raum zu gewährleisten, sind sich Baumann und Lagodinsky einig. Europa müsse autarker werden, betonte der Lagodinsky und skizzierte, wie das gehen könnte: „Mit einer selbstbewussten Haltung und der Überzeugung, dass wir das können. Wir müssen uns auf bestimmte Technologien konzentrieren und diese dann massiv fördern. Wir brauchen eine Dynamisierung von öffentlichen und privaten Ressourcen. Und wir brauchen einen gemeinsamen Digitalmarkt in der EU. Aktuell müssen Digitalprodukte für jedes Land einzeln zugelassen werden. Das muss sich ändern, damit wir die Hebelwirkung nutzen können, die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben, wenn sie sich auf dem Markt gemeinsam etwa gegen die USA oder China positionieren.“

EU investiert massiv in einen gemeinsamen europäischen Digitalmarkt

In der vergangenen Legislaturperiode habe man in der EU mit dem KI-Gesetz, dem Datengesetz, dem Daten-Governance-Gesetz, dem DSGVO-Implementierungsgesetz und anderen kräftig reguliert, berichtete Lagodinsky, der bei einigen dieser Gesetze mitverhandelt hat. „Jetzt gilt es, zu fördern, zu investieren und den europäischen Digitalmarkt – Strukturen und Ressourcen – zu stärken, etwa mit der Start-up-Strategie der EU oder KI- & Cloud-Entwicklungsstrategien. Oder anders ausgedrückt: Nach dem European Green Deal brauchen wir nun einen European Tech Deal.“ Bisher will die EU 1,3 Milliarden Euro in KI, Cybersicherheit und Digitale Kompetenz investieren. Bei der Entwicklung von großen KI-Programmen wie etwa den Sprachprogrammen LLM (Large Language Model), habe die EU den Anschluss verpasst. „Deshalb sollten wir uns auf KI-Anwendungen konzentrieren, die beispielsweise in den Bereichen Pharma, Gesundheit und Industrie verwendet werden“, so Lagodinsky. Weiterhin sei es wichtig, eine gemeinsame Datenstrategie zu entwickeln, um den europäischen Datenmarkt noch besser zu organisieren, sowie eine europäische Cloudstrategie, also Möglichkeiten, die Daten digitaler Nutzer virtuell auf Servern in Europa zu speichern.

Auch als Antwort auf eine Nachfrage aus dem Publikum ergänzte Baumann: „Die Dieter-Schwarz-Stiftung in Neckarsulm etwa arbeitet aktuell daran, eine europäische Cloud-Lösung marktfähig zu machen, in Kooperation mit einem Start-up-Unternehmen aus Israel und mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg. Wir möchten als Land Teil davon sein, Lösungen für den europäischen Digitalmarkt zu erarbeiten, aus Baden-Württemberg für Europa.“ Zu einer weiteren Nachfrage bezüglich des hohen Energiebedarfs von KI, erklärte Lagodinsky: „Umwelt und Energie sind auch bei der Digitalisierung Riesenthemen. So habe ich etwa in das KI-Gesetz der EU hineinverhandelt, dass die großen Sprachprogramme, die LLM, Technologien einbinden müssen, um den Energieverbrauch aufzuzeichnen und zu überwachen.“ Baumann fügte hinzu: „Eine KI hat einen weit höheren Energiebedarf als beispielsweise Streaminganbieter von Filmen und Serien. Da müssen wir aufpassen und die Energiepolitik diesbezüglich im Auge behalten.“

Auf eine weitere Frage aus dem Online-Publikum, ob Lagodinsky es für wahrscheinlich halte, dass sich zeitnah eine europäische Social-Media-Variante statt Facebook und TikTok durchsetzen könne, sagte er: „Da bin ich leider skeptisch. Wir sehen ja, dass europäische Alternativen zu Meta und Co., wie etwa Bluesky, nicht als Massenlösung funktionieren.“ Besser wäre es, so der Abgeordnete, die EU würde „auf Einkaufstour gehen“: „Es wäre gut, sich bei einem bestehenden sozialen Netzwerk einzukaufen und sowohl den Kundenstamm als auch den Algorithmus zu erwerben. Das wäre zwar sehr teuer, aber erfolgsversprechend.“ China habe es damals bei TikTok ebenso gemacht. Baumann ergänzte: „Auf einer europäischen Social-Media-Plattform bräuchten wir definitiv auch die Macht über den Algorithmus. Dieser müsste, ebenso wie der europäische Digitalmarkt insgesamt, unser europäisches Wertesystem widerspiegeln, und nicht das von Tech-Giganten aus China oder den USA. Auch für unsere Demokratie ist das zentral wichtig.“

ZUR PERSON:

Der Berliner Dr. Sergey Lagodinsky ist Jurist, Autor und seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments (Bündnis 90/Die Grünen). Er ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion die Grünen/EFA sowie Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments zur Parlamentarischen Versammlung Euronest (der östlichen Nachbarschaft), Mitglied des Rechtsausschusses sowie des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Er vertritt die Fraktion als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie und ist Sprecher für Russland und Transatlantische Beziehungen. Seine Schwerpunktthemen sind Digitalpolitik, Außenpolitik sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.