Staatssekretärin Sandra Boser MdL besucht die Karl-Friedrich-Schimper-Gemeinschaftsschule und diskutiert über Inklusion in der Schule.

Während im großen Foyer der Karl-Friedrich-Schimper-Gemeinschaftsschule die Schülerinnen und Schüler die Räume für die letzte Unterrichtsstunde wechselten, nahmen auch die Teilnehmenden des Austauschs zur Inklusion in der Schule Platz an ihren Tischen. Sandra Boser, die Staatssekretärin aus dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, ist der Einladung des Landtagsabgeordneten Dr. Andre Baumann gefolgt und kam am Welttag der Lehrerinnen und Lehrer nach Schwetzingen, um über schulische Inklusion – also das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zu diskutieren.

Dr. Andre Baumann, Janis Gottinger und Staatssekretärin Sandra Boser im Gespräch

Janis Gottinger begrüßte als Teil des dreiköpfigen Schulleitungsteams die anwesenden Gäste. „Leben macht unsere Schule aus“, betonte der Sonderpädagoge mit Blick auf das geschäftige Treiben in der Aula und freute sich, dass sich so viele Menschen für die Arbeit der Schule interessieren. Oberbürgermeister Dr. René Pöltl lobte das junge Lehrerkollegium. „Die neuen Kolleginnen und Kollegen bringen neue Ideen und Blickwinkel ein. Sie wollen Schule verändern.“

„Der gegenseitige Austausch ist enorm wichtig, um zu schauen, wie Inklusion in der Fläche gelingen kann“, betonte Staatssekretärin Sandra Boser und stellte klar, dass sie unter Inklusion viel mehr verstehe, als Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen zu unterrichten. „Eine Schule für alle hat die vielfältige Schülerschaft mit ihren ganz unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen, Interessen und Leistungsmöglichkeiten im Blick. Die Schimper-Schule ist ein großartiges Beispiel dafür, dass der Umgang mit jeglicher Form von Heterogenität bereits eine Selbstverständlichkeit geworden ist.“ Das bestätigte auch Heiko Mail, Schulamtsdirektor am Staatlichen Schulamt Mannheim und zuständiger Schulrat für die Schimper-Schule: „Der Begriff Inklusion muss weiter gefasst werden, nämlich so, dass die jungen Menschen in all ihrer individuellen Vielfalt wahrgenommen und gefördert werden. Die Schimper-Schule ist eine offene Schule, in der man sich das anschauen kann.“

Aber was ist eigentlich das Besondere an der Schimper-Schule? „Bei uns gibt es Lerngruppen statt Klassen“, erklärte Gottinger. „Dadurch können wir individueller auf die Schülerinnen und Schüler eingehen. In der Gemeinschaftsschule gibt es drei verschiedene Lernniveaus. Wir sind es also gewohnt, in Gruppen zu unterrichten, in denen es ganz unterschiedliche Lernziele gibt.“ Dazu kommt ein enger Kontakt zu den Eltern, sowie einen guten Austausch unter den Lehrkräften, die als Team zusammenarbeiten.

Wie das in der Praxis aussieht, konnten sich die Anwesenden nach der kurzen Einführung dann bei einer Hospitation selbst anschauen. In der Lernzeit arbeiten die Schülerinnen und Schüler selbständig alleine oder in Gruppen, mal mit und mal ohne Begleitung durch die Lehrkräfte. Papier gibt es wenig – alle haben iPads, auf denen sie ihre Aufgaben lösen. Hier arbeiten Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam an ihren Aufgaben, ohne dass Unterschiede sichtbar sind. Es sind nur junge Menschen zu sehen, die konzentriert an ihren Aufgaben arbeiten.

Nach der Hospitation ging es in größerer Runde weiter, um das Thema Inklusion genauer zu beleuchten: „Inklusion ist im aktuellen Koalitionsvertrag fest verankert“, betonte Dr. Andre Baumann, „aber es gibt noch viel zu tun.“ Er berichtete von seiner eigenen Schulzeit: „Ich war in der Nordstadt-Grundschule. Direkt durch die Glastür ging es zur Sonderschule, aber wir hatten keinerlei Begegnungen – es war verboten, durch diese Tür zu gehen. Kontakte zu Menschen mit Behinderungen hatte ich erst sehr viel später.“ Bei der Umsetzung von Inklusion gäbe es zwar noch viel zu tun, aber Baumann ist zuversichtlich: „Hier sehen wir, dass es geht. Wir haben an der Schimper-Schule ein hochmotiviertes Kollegium und eine multiprofessionelle Schulleitung. Wenn es alle wollen, dann kann es auch gehen.“

Ein großes Thema sei die Personalgewinnung, so Boser. „Darum legen wir in Freiburg einen neuen Studiengang für 175 Plätze in der Sonderpädagogik auf.“ Da die Ausbildung mit Studium und Referendariat aber dauere, würden auch auf kurzfristige Maßnahmen gebaut. „So haben wir etwa den Direkteinstieg als Fachlehrkraft in der Sonderpädagogik ausgebaut, und wir stellen für die nächsten fünf Jahre jeweils 50 zusätzliche Ausbildungsplätze für Fachlehrkräfte in der Sonderpädagogik bereit“, so Boser.

Dann ging es in die Diskussion mit vielen engagierten Menschen, die sich für Inklusion einsetzen: „Inklusion muss das neue Normal werden und wir sollten als Gesellschaft keine Angst vor der Kultur der Inklusion haben“, sagte Baumann. „Wo sehen Sie Herausforderungen in ihrem Umfeld?“ Renate Schmidt von der Projektgruppe Inklusion Eppelheim und freie Heilpädagogin, berichtete, dass Eltern teilweise bewusst von einer inklusiven Beschulung ihres Kindes mit Behinderung abgeraten werden. Zum Beispiel, weil Ressourcen, wie Personal oder Zeit fehlen würden. „Die ganze Schule muss mitgehen. Das Kollegium muss sich weiterbilden und es braucht Zeit zum gemeinsamen Austausch. Dafür brauchen wir einen Schulentwicklungsprozess, in dem die bisher vorhandenen Doppelstrukturen abgebaut werden.“

Sarah Maier vom AW-ZIB, dem Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, bestätigte die Probleme bei der Elternberatung: „Das Elternwahlrecht ist kein echtes Wahlrecht, weil es keine gleichwertigen Alternativen gibt.“ So sieht es auch Nele Hagemann von der Elterninitiative Gemeinsam leben – gemeinsam lernen: „Wenn sich Eltern für Inklusion entschieden haben, werden sie trotzdem oft in Außenklassen gedrängt. Außenklassen sind aber Klassen der Sonderschulen, die an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden. Das ist keine Inklusion. Das ist unfair und verunsichert viele Eltern.“

Boser betonte, dass Eltern weiterhin zwischen der Inklusion an einer allgemeinen Schule und dem Besuch eines Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums wählen können, Inklusion jedoch Aufgabe aller Schulen und Schularten ist. Ziel sei, dass in jedem Schulamtsbezirk ein Zeitplan für einen inklusiven Schulentwicklungsprozess erstellt werde. Dem stimmte Arnulf Amberg, der beim Staatlichen Schulamt Mannheim zuständig für Inklusion ist, zu: „Die Schulsysteme sind seit den 80er Jahren gleichgeblieben und Inklusion kam als Aufgabe bloß dazu, ohne dass sich viel verändert hätte.“ Das mache die Umsetzung schwer. Obwohl das Schulamt Mannheim bereits lange am Thema Inklusion arbeitet und seit Jahren seine Region zur Modellregion ausgebaut habe, stagniert die Inklusionsquote.

„Jedes Kind soll Teil der Schule sein, auf die es geht“, erklärte Sarah Maier. Es sei nicht gut, wenn Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf einer Sonderschule zugeordnet seien, obwohl sie in einer allgemeinbildenden Schule lernen. Und Ute Raible vom AW-ZIB ergänzte: „Nicht eine Klasse allein kann inklusiv sein, sondern die ganze Schule muss sich auf den Weg machen. Schulentwicklung muss einen hohen Stellenwert haben und braucht Zeit. Sie sollte fest im Stundenkontingent der Lehrkräfte verankert sein.“ Ebenso muss es im Kollegium eine Kontinuität geben. „Es braucht strukturelle Veränderungen, damit dauerhafte multiprofessionelle Teams entstehen können.“

Heiko Mail lenkte den Blick nochmals auf konkrete Gelingensfaktoren und stellte vor allem den Zeitbedarf in den Mittelpunkt. „Die Schulleitungen benötigen Zeit, denn sie müssen den Prozess anstoßen.“ Ebenso brauchen aber auch die Lehrkräfte Zeit. „Es sind in der Vergangenheit viele Aufgaben dazugekommen. Zeit ist das Erfolgsrezept für Schulentwicklung.“

Für Arnulf Amberg ist Haltung das Entscheidende. „Der Auftrag zur Umsetzung von Inklusion ist da. Es geht nicht mehr um das ‚Ob‘, sondern nur noch um das ‚Wie‘.“ Unter der neuen Landesregierung sei ein neuer Wind für diese Veränderungen zu spüren. Oberbürgermeister Dr. René Pöltl wünscht sich noch mehr Impulse von oben. „Wir können kommunale Vernetzungen schaffen, aber wir brauchen auch klare Vorgaben vom Land.“ Und auch wenn sich Haltung nicht verordnen lasse, seien klare Aufträge wichtig, wenn Inklusion gelingen soll.

Thorsten Lihl ist eine Bildungsfachkraft, die als Mensch mit Behinderung am AW-ZIB arbeitet und Lehrkräfte zur Inklusion schult. Er ist sich sicher: „Kinder können viel voneinander und untereinander lernen.“ Für ihn ist das Ziel daher klar: „Jeder soll lernen, wie und was er will. Und zwar mit der Unterstützung, die er benötigt.“ „Das setzt aber auch eine klare Haltung aller Akteurinnen und Akteure voraus“, erklärte Sarah Maier und Thorsten Lihl ergänzte: „Einige Studierende berichteten, dass sie noch nie Kontakt zu Menschen mit Behinderungen hatten.“ Das müsse sich ändern.

Zum Abschluss betonte Sandra Boser, dass im Kultusministerium am Thema gearbeitet werde. Ein Lenkungskreis Inklusion habe die Arbeit aufgenommen. „Wir wollen die Inklusion in Kita und Schule weiter bedarfsgerecht ausbauen und die Qualität von Inklusion und sonderpädagogischen Bildungsangeboten voranbringen.“